Taktische Ausreden: „Bezahlt wird nicht!“ am Schauspielhaus Magdeburg

Das Theater Magdeburg hat sich für die italienische Farce „Bezahlt wird nicht!“ von Dario Fo eine ganz besondere Promo-Aktion ausgedacht. Auf ihren gelben Plakaten, die in der ganzen Stadt hängen, steht geschrieben: „Klaut dieses Plakat!“ Es sollte die vorbeigehenden Leute zum Schmunzeln anregen. Aber einige versuchten dieser Aufforderung tatsächlich nachzukommen. Für Peter Kleinert, dem Regisseur des Schauspiels, scheint die Art von Werbung mehr als geglückt zu sein.

Nachdem wieder einmal die Preise in den Warenhäusern erhöht wurden, entschließt sich Antonia (Iris Albrecht) zusammen mit anderen niedrig verdienenden Frauen, einen Supermarkt zu plündern. Ihre Devise: Bezahlt wird nicht! Auf dem Nachhauseweg trifft Antonia auf ihre Freundin Margherita (Léa Wegmann), der sie alles gesteht. Sie teilt ihre Eink(l)äufe mit ihrer Kumpeline. Den Rest versteckt sie in ihrer Wohnung. Dort muss die anarchistisch angehauchte Rebellin dafür sorgen, dass ihr gesetzestreuer Mann Giovanni (Uwe Fischer) nichts von ihrer Straftat erfährt. Doch das ist nicht so einfach, als sie es sich vorstellt. Zusammen mit Margherita verstrickt sie sich in ein Netz aus absurden Lügen, die bei allen Beteiligten für Verwirrung sorgen. Plötzlich steht dann auch noch die Polizei (Matthias Rheinheimer) vor der Tür und die Frauen drohen jederzeit aufzufliegen.

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Antonia (Iris Albrecht, links) und Magherita (Léa Wegmann) tischen dem Kriminalkommissar (Matthias Rheinheimer) eine absurde Geschichte auf, um ihre Straftat zu vertuschen.; Foto: Nilz Böhme

Ein gespanntes Laken, auf dem links ein großes Einkaufsregal und rechts eine Reihe Häuserblocks zu sehen sind. Auf dieses Laken werden Aufnahmen einer Videoüberwachung aus einem Supermarkt projiziert. Eine Horde Frauen streitet sich um ihre Einkäufe und stürmen mit ihrem Erbeuteten aus dem Laden – ohne zu bezahlen. Das Laken verschwindet. Auf der Bühne ist eine mittelständige Wohnung eingerichtet. Dahinter türmen sich Einkaufswagen über Einkaufswagen. Mit diesem Bühnenbild, welches von Christiane Hercher stammt, eröffnet Peter Kleinert seine Inszenierung der italienischen Komödie „Bezahlt wird nicht!“. Allein diese Kulisse impliziert schon ein spezielles Bild beim Rezipienten, welches sich mit den Kostümen von Henrike K. Fischer und der Handlung deckt. Die Protagonisten gehören zu dem wenig verdienenden Volk. Sie müssen an allen Ecken und Kanten sparen, um ihre Miete, Strom, Krankenversicherungen und Co. zu bezahlen. In der Not werden die Akteure erfinderisch. So vor allem die weibliche Hauptfigur. Mit ihrem Handeln eröffnet Kleinert eine Geschichte, die in der heutigen Zeit gar nicht mal so undenkbar ist. Themen wie Arbeitslosigkeit und Geldsorgen sind allgegenwärtig. Die Ausgangsposition wird lediglich überspitzt und entwickelt sich in groteske Richtungen. Letztere sorgen für viele Lacher seitens des Publikums. Und trotz der vielen Situationen, die die jeweiligen Figuren im Laufe der Handlung eröffnen, kann man abschließend sagen, dass alles, was auf der Bühne passiert,  detailliert von Kleinert und mit Maiko Miske als Dramaturg durchdacht wurde. Alles ist in sich schlüssig, so absurd einige Dinge auch klingen mögen. Dazu lässt Kleinert den Protagonisten auch noch Raum für Improvisationsmomente, welche für hörbare Begeisterungen sorgen dürften. Der Inszenierung spielt es ebenfalls in die Karten, dass es keine ländliche Einordnung gibt. Das Stück könnte in Italien spielen, aber es könnte auch genauso gut zu Deutschland passen. Hier lässt der Regisseur der persönlichen Interpretation des Rezipienten freien Lauf.

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Ein Einkaufswagen voller Lebensmittel: Für Margherita (Léa Wegmann, links) und ihrem Mann Luigi (Lukas Paul Mundas, 2. v. l.) ist das ein wahr gewordener Traum.; Foto: Nilz Böhme

Das Besondere an der Inszenierung ist, dass man durchgängig sehen kann, wie viel Spaß die Schauspieler an diesem Stück haben. Sie geben sich voll und ganz ihren jeweiligen Charakteren hin und verschmelzen mit ihnen. Iris Albrecht und Léa Wegmann als Antonia und Margherita sind ein eingespieltes Frauen-Duo. Iris Albrecht schafft als Antonia mit ihrem trockenen Humor und ihren kuriosen Ideen voll und ganz in ihren Bann zu ziehen. Obwohl man es im ersten Moment nicht glauben mag, ist sie sehr schlau und kann die unglaubwürdigsten Märchen äußerst überzeugend verkaufen. Während Albrecht sich als eine Art Anführerin einer neuen Bewegung sieht und die kuriosesten Gedankenblitze hat, spielt Wegmann die etwas ängstliche Mitläuferin. Margherita ist das komplette Gegenteil von Antonia. Wegmann folgt als Margherita allen Regieanweisungen, die sie von Antonia erhält. Sie ist nicht so ganz begeistert von der Klau-Aktion. Dennoch versucht sie, das Geheimnis für sich zu behalten. Das männliche Pendant zu Antonia und Margherita bilden Uwe Fischer und Lukas Paul Mundas als Giovanni und Luigi. Beide Männer lässt Kleinert mit einem Dialekt auftreten. Fischers Giovanni ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Er lässt sich ständig und leicht einen Bären von seiner Frau aufbinden – oder Katzen- und Hundefutter zum Abendbrot servieren. Aber trotz allem hat Fischers Figur das Herz am rechten Fleck. Aufbrausend kann er werden, wenn jemand das Gesetz nicht achtet. Vor allem duldet er keine Verstöße bei seiner Frau. Doch wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Sobald Giovanni erfährt, dass er seinen Arbeitsplatz bald nicht mehr haben würde, begeht er zusammen mit Luigi ebenfalls eine Straftat.  Mundas‘ Charakter und Aufmachung erinnert an eine Mischung aus einem holländischen Pietro Lombardi und der Comedy-Figur Dennis aus Hürth. Mit seiner Basecap, auf dem in pinken Großbuchstaben sein Name steht und seinem grammatikalischen Ausdrucksproblem sorgt er diverse Male nicht nur für ein breites Schmunzeln, sondern auch für lautes Gelächter im Saal. Matthias Rheinheimer taucht in der Produktion in verschiedenen Rollen auf. Er schafft es mit einer Leichtigkeit, jeder einzelnen Figur Individualität zu verleihen. Obwohl er in wechselnden Rollen und damit auch unterschiedlichen Kostümen in Erscheinung tritt, sehen Giovanni und Luigi immer Ähnlichkeiten zu der ersten Person, die Rheinheimer verkörpert. Es ist ein wahrer Genuss, ihm bei jeder seiner „Typverwandlungen“ zuzusehen und das Katz-und-Maus-Spiel mit den anderen Protagonisten zu verfolgen.

Mit dieser Produktion von Dario Fos Farce „Bezahlt wird nicht!“ bringt Peter Kleinert erneut nach „Die Kleinbürgerhochzeit“ von Bertold Brecht eine selbstkritische Komödie auf die Bühne des Magdeburger Schauspielhauses, die es in sich hat. Urkomische Dialoge, absurde Momente, ein einprägsames Bühnenbild und eine extrem unterhaltsame Besetzung sorgen dafür, dass diese Vorstellung nicht so schnell aus den Köpfen des Publikums verschwindet. Der ein oder andere weniger intelligente Spruch wird garantiert mit nach Hause genommen und auch dort mit einem Augenzwinkern angewandt. Wer sich für einen Besuch dieser Inszenierung entscheidet, der kann davon ausgehen, dass ihm keine Lebenszeit geklaut wird.

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