Toxische Beziehungsmuster: „Zwei auf einer Bank“ an der Schaubühne Berlin

Im Jahre 1983 verfasste der russische Autor Alexander Gelman ein Beziehungsdrama, das auch 40 Jahre später noch immer aktuell ist – und zwar in aller Welt. Die junge Regisseurin Amalia Starikow inszeniert „Zwei auf einer Bank“ an der Schaubühne Berlin am Lehniner Platz und treibt damit das Publikum in eine psychische Berg- und Talfahrt.

Der Mittdreißiger Valentin (Damir Avdic) lungert in einem Park herum und gräbt gefühlt jede Frau an, die ihm über den Weg läuft. Doch plötzlich wird er von Vera angesprochen. Er wittert seine Chance und versucht auch sie um den Finger zu wickeln. Was er allerdings in dem Moment noch nicht weiß: Vera und er kennen sich bereits. Sie hatten vor einem Jahr mal einen One-Night-Stand. Als Vera Valentin, der sich mittlerweile als Juri entpuppt hat, zur Rede stellt, verstrickt sich der Frauenheld in weitere Lügen. Doch das ist erst der Anfang eines toxischen Liebeswirrwarrs …

Vera (Julia Schubert) konfrontiert Valentin/Juri (Damir Avdic) damit, dass sie vor einem Jahr einen One-Night-Stand hatten.
Foto: Gianmarco Bresadola

Das Publikum betritt das Studio der Schaubühne. Die Spielfläche ist mit Sand bedeckt. Zwischen zwei Gesteinen befindet sich eine rostige Badewanne, die metaphorisch für die Bank steht. Und da ist noch die Laterne, unter der Hauptprotagonist Damir Avdic steht. Sandkörner fallen von der Decke und auf den Kopf des Schauspielers. Der Akteur befindet sich auf der Lauer; auf der Lauer nach jungen Frauen aus dem Publikum, die er mit seinem charmanten Lächeln und seinem fesselnden Blick versucht, zu bezirzen. Einige Frauen finden es lustig, andere wiederum wissen nicht, wo sie hinschauen sollen. Sie erwidern seinen Blick; ein Knistern entsteht und erlischt dann im nächsten Moment. Ist das echt oder beginnt hier schon das Schauspiel? Es erinnert ein wenig an einen Clubbesuch, dass man auf jemanden aufmerksam wird, Blicke ausgetauscht werden, aber man nicht weiß, wer den ersten Schritt wagen soll. Nun, den nimmt der Schauspieler den Theaterbesucherinnen ab. Er geht offensiv mit den Damen aus dem Publikum auf Flirtkurs. Doch auf einmal sind sie nicht mehr allein. Eine Frau stößt dazu und beobachtet das Szenario. Ihr Blick verrät: Sie ist absolut nicht angetan von der Situation. Irgendwann macht sie sich bemerkbar und lenkt die Aufmerksamkeit des Spielenden auf sich. Und er ist sich sofort sicher: Die Nuss wird er knacken können!

Beide Protagonisten nehmen auf der Bank … äh … auf der Wanne Platz. Er stellt sich ihr als Valentin vor, sie sich ihm als Vera. Der Frauenheld kommt schnell zur Sache und versucht die junge Frau anzupacken. Doch sie lässt sich das nicht gefallen. Er entschuldigt sich, erklärt sich und verspricht ihr nicht mehr übergriffig zu werden. Aber der nächste Flirtversuch lässt nicht lange auf sich warten. Es scheint so, als würde das Katz- und Mausspiel für beide ein Erfolg werden – bis Vera alias Julia Schubert die Bombe platzen lässt. Die beiden sind sich nicht fremd. Vor etwa einem Jahr haben die beiden eine Nacht miteinander verbracht. Valentin, der sich Vera damals als Juri vorgestellt hatte, kann sich allerdings nicht mehr wirklich an das kurze Stelldichein erinnern. Vera stellt den Typen auf den Prüfstand. Doch das ist nur der Beginn eines toxischen Abends …

Es sind Szenarien, die sich auch heute tagtäglich so oder so ähnlich in aller Welt zutragen. Ob Alexander Gelman 1983 geahnt hat, dass sein Werk auch 40 Jahre später noch so aktuell sein würde? Beziehungen begleiten uns nämlich unser ganzes Leben lang. Die Suche nach der großen Liebe kann oftmals ziemlich anstrengend sein. Wenn man denkt, dass man den Partner oder die Partnerin fürs Leben gefunden hat, müssen sich einige Paare über kurz oder lang eingestehen, dass ihre Liebe zueinander nicht für die Ewigkeit bestimmt ist. Enttäuschungen sind hier nicht ausgeschlossen. Online-Dating ist zudem dazugekommen. Die Auswahl scheint größer denn je zu sein. Warum von der großen Liebe träumen, wenn eine gemeinsame Nacht ausreicht und man sich am nächsten Tag schon in ein neues Abenteuer stürzen kann? Was ist aber mit den Menschen, die nicht loslassen können? On-off-Beziehungen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer – oder in diesem Fall wie Sand in der Schaubühne. Das Wort „toxisch“ gehört mittlerweile zum alltäglichen Wortschatz. Wie wir sehen: Die unterschiedlichen Beziehungsmuster haben sich nicht groß verändert. So stellt die gerade einmal 30-jährige Regisseurin Amalia Starikow ein Stück auf die Beine, dass bei den Millennials und der Generation Z gleichermaßen ins Schwarze trifft, wenn es um die verzweifelte Suche nach Liebe und Anerkennung geht.

Mit seinem charmanten Lächeln und seiner Beharrlichkeit nimmt man Damir Avdic die Rolle des Frauenhelden komplett ab. Er studiert sein Gegenüber und weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss, um an seinen Willen zu kommen. Der junge Mann ist um keine Lüge verlegen, um eine Frau ins Bett zu kriegen. Kurz gesagt: Avdics Figur ist das, was man heutzutage schlichtweg einen Fuckboy nennt. Doch was will Avdics Charakter wirklich in seinem Leben? Oder ist er einfach schlichtweg noch in der Findungsphase?

Meint Valentin/Juri (Damir Avdic) es dieses Mal wirklich ernst mit Vera (Julia Schubert)?
Foto: Gianmarco Bresadola

Julia Schubert, die als Vera in Erscheinung tritt, weiß genau, was sie sucht: die einzig wahre Liebe, die Sicherheit bietet. Von ihrem Partner im Stich gelassen, trieb es die junge Mutter eines Abends in die Arme von Valentin, Juri oder wen auch immer. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick, er verließ sie allerdings noch mitten in der Nacht und kam nicht wieder. Und trotzdem konnte Vera nicht von ihm lassen, suchte ihn im Park auf und beobachtete ihn – bis zu jenem Abend. Schuberts Figur ist clever. Sie weiß, wie sie ihren Angebeteten aus der Reserve locken kann und wie sie an Informationen kommt, die ihr fehlen. Aber Vera ist auch einsam. Und trotz ihrer Detektivversuche nimmt sie Demütigungen und immer wieder neue Lügen in Kauf. Man möchte sie einfach nur schütteln und ihr sagen, dass sie von ihm ablassen soll.

Beide Schauspieler verflechten sich in ein unangenehmes Gefühlswirrwarr, das Seinesgleichen sucht. Getrieben von Einsamkeit, Verzweiflung, Enttäuschung und Sehnsucht nach dem Wir treibt es das ungleiche Paar immer wieder in die Arme des jeweils anderen. Selbst Handgreiflichkeiten beenden diese toxische Beziehung nicht. Und tief im Inneren wissen wir alle: Solche Situationen, die uns auf der Studiobühne gezeigt werden, kennen wir alle. Wir kennen sie entweder aus Filmen und Serien, kennen sie von Freunden oder Bekannten, aber vielleicht haben wir sie auch selbst schon mal erlebt. Es bleibt nicht aus, dass in den Rezipienten einige Triggerpunkte getroffen werden und für einen bitteren Beigeschmack sorgen.

Obwohl die Inszenierung immer wieder unerwartete Wendungen nimmt und somit auch neue Themen aufgemacht werden, wirkt das Stück keineswegs überladen und vollgestopft, als hätte man alle erdenklichen Red Flags versucht, in die 90 Minuten des Schauspiels zu quetschen. Starikow schafft es mit ihrer Interpretation, das Publikum nicht zu überfordern, aber dafür gehörig auf den Zahn zu fühlen und Raum für die eigene Reflexion zu geben. Während man einerseits hofft, dass jeder der beiden Akteure sein ganz persönliches Happy End finden wird, spürt man stellenweise, wie erdrückend und unangenehm manche Darstellungen für einen selbst sind. Das minimalistisch gestaltete Bühnenbild von Simon Lesemann lenkt den Fokus direkt auf die beiden Schauspieler und deren Handlung, hinterlässt allerdings auch eine Schwere, die zu dem Drama passt. Der Sandpark, der fast einer Wüste gleicht, und die Badewanne als Bank lassen sich hier hervorragend auf die ertränkende Sehnsucht und tiefe Verzweiflung, in die Avdics und Schuberts Figuren regelrecht ertränken, übertragen. Das Stück wird in den meisten Fällen mit Sicherheit Nachwirkungen bei einzelnen Besuchern aufweisen. Die anderthalb Stunden Spieldauer vergehen zudem auch wie im Fluge und weisen absolut keine unnötigen Längen auf. Kurz gesagt: Hier sind Thema und Schauspiel einfach on Point.

„Zwei auf einer Bank“ an der Schaubühne ist ein Stück für jede Altersklasse. Mit einer angenehmen Mischung aus Witz und Drama schaffen es Damir Avidc und Julia Schubert, das Publikum auf eine emotionale Achterbahnfahrt der Gefühle mitzunehmen. Es ist zwar im Gegensatz zu manch anderem Beziehungsdrama aufgrund der Aufbereitung von Regisseurin Amalia Starikow leichte Kost, aber dennoch könnten einzelne Themen einen wunden Punkt bei den Besuchern treffen. Denn Liebe und Geborgenheit sind allgegenwärtig. Der Mensch lässt sich in einigen Fällen von Illusionen treiben. Und genau diese weist die Produktion mit einer Leichtigkeit auf und könnte dazu beitragen, einige persönliche Beziehungsmuster infrage zu stellen, ohne verurteilend zu sein. Tickets zum Stück gibt es hier.

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