Finstere Geheimnisse: Theater Magdeburg inszeniert „Rebecca“

Eigentlich sollte Erik Petersens Inszenierung von „Rebecca“ im Sommer 2020 als DomplatzOpenAir aufgeführt werden. Doch leider musste das Theater Magdeburg aufgrund der Corona-Pandemie seine Pläne über den Haufen werfen. Zwei Jahre später ist es endlich soweit. Ist es eine gute Entscheidung, so ein erfolgreiches, aber dennoch recht unbekanntes Musical als Comeback der beliebten Veranstaltungsreihe zu benutzen?

Sybille Lambrich und Patrick Stanke
Foto: Andreas Lander

„Alles fing in Frankreich an, damals im April 1926; in der Eingangslounge eines Grand Hotels in Monte Carlo“: Als Gesellschafterin arbeitet die junge „Ich“ (Sybille Lambrich) für die reiche Amerikanerin Mrs. van Hopper (Amani Robinson). Dort trifft sie auf den verwitweten Maxim de Winter (Patrick Stanke), der sich kurzerhand in „Ich“ verliebt und sie zur Frau und mit auf sein Anwesen Manderley an der Küste von Cornwall nimmt. Dort angekommen wird ihr schnell klar, dass die Angestellten eine hohe Erwartungshaltung an die neue Mrs. de Winter haben. Denn der Geist von Maxims verstorbener Frau Rebecca, die bei einem vermeintlichen Bootsunfall ums Leben kam, ist allgegenwärtig. Sie wurde von allen geliebt. Die Haushälterin Mrs. Danvers (Kerstin Ibald) hat am meisten daran zu knabbern, dass Maxim so schnell schon wieder eine neue Liebe gefunden hat. Sie setzt alles daran, seiner Neuen das Leben schwer zu machen und zeigt „Ich“, dass sie Rebecca nicht das Wasser reichen kann. Doch dann kommen auf einmal finstere Geheimnisse der Verstorbenen ans Tageslicht …

Daphne du Maurier veröffentlichte 1938 den Schauerroman „Rebecca“ und sollte damit auch gleich ihren größten Erfolg feiern. Denn bereits zwei Jahre später wurde ihr Werk von Alfred Hitchcock verfilmt. 2006 wurde der mehrfach für die Bühne adaptierte Stoff erstmals als Musical von Michael Kunze und Sylvester Levay in Wien uraufgeführt. Nun hat auch das Theater Magdeburg es geschafft, die Rechte für die Bühnenadaption zu erlangen. Doch so bekannt der Roman auch ist: Das Musical kennen nur die wenigsten Fans des Theatergenres. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass das Magdeburger Publikum anfangs skeptisch war, als es hieß, dass die Produktion auf dem Domplatz gezeigt wird. Doch einen Joker hatte das Theater bereits in der Tasche.

Der gebürtige Magdeburger Erik Petersen gehört zu den erfolgreichsten Musicalregisseuren seiner Zeit. Nicht verwunderlich, dass er bereits Stücke wie „Anatevka“ und „My Fair Lady“ in seiner Heimat inszenieren durfte. Bereits 2016 durfte er „Hair“ als Freiluft-Event für das Theater Magdeburg ausrichten. Denn wenn Petersen für zwei Sachen bekannt ist, dann für seine Liebe zum Detail und für die Hingabe zu seinen Protagonisten und Protagonistinnen.

Sybille Lambrich mit dem Ballett und Opernchor
Foto: Andreas Lander

Das Bühnenbild von Dirk Hofacker zieht das Publikum sofort in seinen Bann und mitten in die Geschichte hinein. Denn die Handlung spielt in einem überdimensionalen, ausgebrannten Wrack von Rebeccas Segelboot. Dazu gehört ein großes Wasserbecken, in dem sich vier quadratische Spielflächen befinden, die als Kulissen des Anwesens von Manderley dienen. Dabei wird vor allem der Stil der Zwanziger Jahre beibehalten. Das Wasserbecken stellt ein zentrales Element der Inszenierung da, das sich als unverzichtbar erweist. Denn Wasser spielt in dem Stück eine ziemlich große Rolle.

Für die Kostüme hat sich Petersen wieder einmal Verstärkung von Kristopher Kempf geholt. Dieser entwarf mehr als 200 Kostüme für die Produktion, die das Publikum zum Staunen bringen. Von glamourösen Kleidern aus den Zwanziger Jahren bis hin zu opulenten „Meeres-Köstümen“ für die Kostümball-Szene zeigt sich hier, dass das Duo sehr viel Liebe für die Musical-Adaption und den Zeitgeist aufbringt.

Kerstin Ibald und Sybille Lambrich mit der Statisterie
Foto: Andreas Lander

Sabine Arthold gehört ebenfalls zu den Leuten, auf die Petersen bei seinen Inszenierungen nicht mehr verzichten kann. Als Choreografin setzt sie vor allem das Ballettensemble ordentlich in Szene und lässt dieses als eine Art Schatten die Vergangenheit der Erinnerungen von „Ich“ auftreten und verlangt von den Tänzerinnen und Tänzern alles ab – oftmals im Wasser natürlich. Und die sorgen für eindrucksvolle Bilder, die Manderley zu einem ganz besonderen Ort machen.

So einladend und verzaubernd die Kulisse mit dem Dom im Hintergrund auch ist, umso grandioser erweist sich auch die Besetzung. Auffallend ist hier zum einen Patrick Stanke, der zwei Seiten von Maxim de Winter offen und authentisch zur Schau trägt. Einmal den Lebemann, der immer ein offenes Ohr für seine Mitmenschen hat und das Gute in sich trägt. Aber er lässt auch seine leicht cholerischen Züge aufflammen, die das Geheimnisvolle seiner Figur unterstreichen. Mit der Zeit ist festzustellen, dass es sich hierbei um eine gebrochene Persönlichkeit handelt, die auf der Suche nach inneren Seelenfrieden ist. Das spiegelt sich auch in Stankes musikalischer Darbietung wider.

Kerstin Ibald
Foto: Andreas Lander

Besonders beeindruckend ist jedoch die Figur von Mrs. Danvers, die von Musical-Star Kerstin Ibald verkörpert wird. Ganz in Schwarz gekleidet gibt sie sich kühl und abgebrüht. Als langjährige Wegbegleiterin und Haushälterin von Rebecca hat sie noch immer mit dem Verlust ihrer Freundin zu kämpfen und kann sich keine andere Hausherrin auf Manderley vorstellen. Mit ihrer Hinterhältigkeit legt sie „Ich“ immer wieder Steine in den Weg, sodass es der neuen Mrs. de Winter schwerfällt, geschätzt zu werden. Ibald dominiert das Stück und sorgt jedes Mal für Gänsehautmomente, wenn sie den Titelsong anstimmt und ihre unendliche Liebe zu Rebecca zum Ausdruck bringt.

Als „Ich“ tritt Sybille Lambrich als Hauptprotagonistin des Stücks zuerst ziemlich schüchtern und unerfahren in Erscheinung, offenbart allerdings von Anfang an ihr gutes Herz. Ihr bezaubernder Sopran-Gesang ist jedoch alles andere als zurückhaltend. Sie hat das Publikum sofort auf ihrer Seite und legt innerhalb der rund drei Stunden eine starke Charakterwandlung hin. Sie schafft es, sich aus dem Schatten ihrer Vorgängerin zu befreien und unterstreicht einmal mehr die Emanzipation der Frau, die in dem Werk ohnehin von großer Bedeutung ist.

Aber auch die Nebenfiguren kommen keineswegs zu kurz. So sorgt Amani Robinson als Mrs. van Hopper mit ihrer frechen und leicht gierigen Art auf reiche Männer für einige Lacher. Jeanett Neumeister und Lutz Standop reißen als Ehepaar Beatrice und Giles das Publikum ebenfalls in ihren Bann. Vor allem Neumeister beweist während ihres Solo-Auftritts und dem gemeinsamen Duett mit Lambrich, dass sie nicht nur Opern singen kann. Marc Clear erweist sich als Frank Crawley als treuer Freund von Maxim und legt ganz viel Gefühl in seine musikalischen Auftritte. Im Gegenzug gibt sich Robert David Marx als Jack Favell ziemlich missliebig, aber schafft es trotzdem, dass das Publikum seine Auftritte liebt. Aber auch Christian Miebach verleiht seiner Rolle als Ben enorm viel Authentizität. Er scheut sich vor den Menschen auf Manderley und bringt erstmals Licht ins Dunkel, dass Rebecca anscheinend nicht die tolle und herzensgute Seele war, für die sie alle hielten.

Patrick Stanke, Sybille Lambrich, Marc Clear, Michael Flöth, Robert David Marx und Christian Miebach
Foto: Andreas Lander

Komplettiert wird das Ensemble von der Musik unter der Leitung von David Levi. Mit 40 Musiker und Musikerinnen trägt er das Stück von fröhlichen Melodien bis hin zu gewaltigen symphonischen Klängen, die einem imposanten und vor allem mitreißenden Filmsoundtrack gleichen. Die Wucht der Künstler und Künstlerinnen hinter der Bühne wird vor allem bei der „Strandgut“-Szene deutlich, in der auch der Opernchor des Theaters Magdeburg sein eindrucksvolles Können unter Beweis stellt.

Patrick Stanke und Sybille Lambrich
Foto: Andreas Lander

Mit „Rebecca“ hat Erik Petersen ein eindrucksvolles Comeback des Magdeburger DomplatzOpenAirs geschaffen, dass alle Generationen in seinen Bann zieht. Mit seiner genreübergreifenden Inszenierung sorgt er für gefühlvolle Momente, stellt aber auch gleichzeitig einen Grusel-Faktor her. Unvergessliche Bühnenbilder mit Wasser (und sogar Feuer) sowie die Stimmgewalt der auftretenden Künstler und Künstlerinnen erschaffen ganz großes Live-Kino mit unfassbar vielen Gänsehautmomenten. Obwohl das Musical noch nicht von größter Bekanntheit ist, könnte sich das mit dieser Inszenierung und den folgenden ändern. Denn trotz der anfänglichen Skepsis hat das Theater Magdeburg Mut bewiesen und in jeder Entscheidung alles richtig gemacht. Das bestätigt das Publikum am Premierenabend mit minutenlangem Applaus und stehenden Ovationen für das Team.

Wer sich noch unsicher sein sollte, ob „Rebecca“ wirklich sehenswert ist, bekommt hier eine kleine Entscheidungshilfe: Wer auf Filme wie „Fluch der Karibik“ oder die „Rosamunde Pilcher“-Reihe steht, Musik von Santiano mag und/oder die Bühnenshows von Rammstein feiert, sollte sich das DomplatzOpenAir definitiv nicht entgehen lassen. Bis zum 10. Juli gibt es noch die Möglichkeit, sich von der grandiosen Freiluftproduktion ein eigenes Bild zu machen. Tickets gibt es hier.

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