Ein Schauspiel, in dem kein einziges Wort gesprochen wird? Das mag für einige schon etwas abschreckend klingen. Es fehlt ihnen die Vorstellung, dass man sich rund zwei Stunden ein Stück ansehen kann, indem es keinen einzigen Dialog oder gar Monolog gibt. Mit Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ in der Inszenierung von Cornelia Crombholz am Schauspielhaus Magdeburg zeigt das Schauspielensemble, dass solch eine Produktion keine gähnende Langeweile vermitteln muss.
Ein Platz in einer fiktiven Stadt auf der Welt: Zahllose Menschen begegnen sich kurz in ihrem ganz normalen Alltag. Es sind meist stereotype Situationen, die sich ergeben. Geschäftsleute hasten zur Arbeit. Eine sportbegeisterte Männertruppe will ein paar ältere Damen berauben. Doch diese können sich verteidigen. Bei einer Hochzeit kriegt das frisch gebackene Ehepaar sowie deren Gäste nicht mit, dass einer ihrer Freunde einen Herzinfarkt erleidet. Aber auch Träume werden zur Realität. Unzählige Geschichten werden erzählt – stumm.

Das Besondere an dieser Inszenierung ist wirklich, dass kein einiges Wort gesprochen wird. Bei dem Tempo der einzelnen Geschichten braucht man das aber auch nicht. Es würde lauter Fragezeichen aufwerfen. Das Schauspielensemble des Theater Magdeburg ist einfach grandios darin, den Geschichten durch Gestik und Mimik, ja, durch ihre Bewegungen Glaubwürdigkeit und Emotionen beim Publikum zu erzeugen. Anfangs mag man vielleicht noch zweifeln, da es ziemlich chaotisch wirkt. Aber nach und nach, von Geschichte zu Geschichte, von Schauspieler zu Schauspieler merkt man, dass alles irgendwo einen Sinn ergibt, was auf der Bühne passiert. Jede einzelne stumme Erzählung vermittelt dem Zuschauer verschiedene Emotionen. Während man bei der einen Szene noch lacht, kann im nächsten Moment schon eine Träne der Trauer über die Wange rollen. Das Stück ist ein Wechselbad der Gefühle. Unterstützt werden die einzelnen Szenen durch passende Musik, die im Hintergrund läuft. Es ist nicht so, dass die komplette Produktion aus Stille besteht und nur die Bewegungen der Schauspieler eine Geräuschkulisse erzeugen. Nicht nur Cornelia Crombholz beweist hier wieder, dass solche Produktionen ihre Stärken sind. Auch die Dramaturgen David Schliesing und Maiko Miske zeigen hier viel Feingefühl und Liebe für’s Detail, was die einzelnen Geschichten betrifft.
Es geschieht eine Menge und das menschliche Auge kann nicht überall sein. Aber genau so ist es im echten Leben auch. Und obwohl das Ensemble schon groß genug ist, gibt es außerdem noch Unterstützung von der Statisterie des Theaters. Wie schon gesagt: Es ist wirklich sehr viel los auf der Bühne. Auch Choreograph David Williams hat einen großen Applaus für seine Arbeit verdient. Was für den Rezipienten ziemlich durcheinander aussehen mag, wurde trotzdem gut durchdacht.
Wer sticht hier auf der Bühne heraus? Das ist schwer zu sagen bei der Dichte der wechselnden Szenerien und der wirklich hochkarätigen Besetzung. Wie ebenfalls erwähnt: Es spielt fast das komplette Schauspielensemble des Theaters mit. Vielleicht wäre es einfacher aufzuzählen, wer nicht an dieser Produktion beteiligt ist. Doch Gutes braucht bekanntlich Zeit. Deswegen kommen hier die Namen der Schauspieler, die zeigen, dass man sich auch ein Stück ohne Worte ansehen kann: Marie Ulbricht, Iris Albrecht, Ralph Opferkuch, Zlatko Maltar, Uwe Fischer, Maike Schroeter, Antonia Schirmeister, Oliver Niemeier, Susi Wirth, Pia-Micaela Barucki, Amadeus Köhli, Thomas Schneider, Cornelius Gebert, Marian Kindermann und Burkhard Wolf.

Wer sich selbst davon überzeugen möchte, dass man einen unterhaltsamen Theaterabend ohne große Dialoge haben kann, der sollte sich noch schnell Tickets für den 24. April oder für den 07. Juni sichern. *Wer bei der Theaterkasse die Namen der Schauspieler angibt, die in der aktuellen Spielzeit nicht in „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ zu sehen sind, der erhält seine Karte 50 Prozent günstiger.
*Kleiner Scherz am Rande.