Herzlich Willkommen in der „Raumstation Paradies“. Das Theater Magdeburg rüstet in Sachen Zukunft buchstäblich auf. Unter der Leitung von Ausstatterin Christiane Hercher verwandelt sich die Studiobühne des Schauspielhauses für einige Inszenierungen in eine spacige Raumbühne. Was heißt das? Das Publikum sitzt mitten im Geschehen des jeweiligen Stückes. Eines dieser Stücke heißt „Ab jetzt“, welches vom britischen Komödienaltmeister Alan Ayckbourn 1987 uraufgeführt wurde.
Irgendwo in einem Vorort von London sorgen die sogenannten Töchter der Finsternis für Recht und Ordnung. Der Komponist Jerome (Ralph Opferkuch) arbeitet seit Jahren an einem großen zeitgenössischen Werk zum Thema „Liebe“. Alle Räume seiner Wohnung sind mit Mikrofonen ausgestattet, mit denen er alle Gespräche und Alltagsgeräusche aufzeichnet. Seitdem er von seiner Frau Corinna (Anne Hoffmann) verlassen wurde und keinen Kontakt zu seiner Tochter Geain (Carmen Steinert), fehlt es ihm an Inspiration. Damit er seine Tochter wiedersehen kann, greift er zu radikalen Maßnahmen: Er mietet sich die Schauspielerin Zoe (Marie Ulbricht), die mit ihm eine heile Familienwelt vorspielen soll. Als er diese allerdings auch vergrault, programmiert er den menschenähnlichen Roboter Gou, mit dem er all die Jahre zusammenlebte, nochmal neu.

Geschichten über Mensch und Maschine gelten heutzutage noch als zeitlos. Vor allem die Frau als Maschine ist eine reizvolle Vorstellung. Dabei ist ihre Rolle klar definiert: Sie soll unterwürfig und gehorsam sein. Gerade in den Zeiten von #MeToo wird dieses Idealbild nochmal zugespitzt. Aber warum stellt sich der Mensch immer wieder die Frage, ob er mit einer Maschine zusammenleben und -arbeiten kann. Ganz einfach: Ein technisches Objekt hat keinen eigenen Willen. Der Mensch programmiert sie sich je nach Einsatzgebiet. Doch technische Geräte können auch Fehlfunktionen haben. Genau das wird in „Ab jetzt“ auf eine humoristische Weise dargestellt. Doch eigentlich werden in der Inszenierung mehrere Themen gleichzeitig erzählt, findet auch Regisseur Stephan Thiel. Neben dem Pygmalion-Thema kommt auch ein Künstlerdrama zum Vorschein. Aber eigentlich steht eine ungewöhnliche Familienzusammenführung im Vordergrund, die im zweiten Akt ihren Höhepunkt erreicht.

Doch das eigentliche Highlight dieser Inszenierung ist nicht die Geschichte, die erzählt wird. Aus der Perspektive eines Theaterschaffenden ist es die schauspielerische Darbietung, die hier für die weiblichen Protagonisten eine Art Sprungbrett darstellt. Ayckbourn war selbst Schauspieler und aus dieser Sicht schrieb er auch seine Theaterstücke. Für „Ab jetzt“ verfasste er einen Plot, der gleich zwei Schauspielerinnen die Chance gibt, ihr Können in Vielfalt zu beweisen. Und genau das ist es, was bei der Inszenierung von Thiel das Publikum zum Staunen bringt. Da wäre einmal Marie Ulbricht, die im ersten Teil als Zoe ganz viele Lacher auf ihrer Seite hat. Man könnte diese Rolle als Königsdisziplin des Genres sehen. Zuerst ist sie panisch und unsicher. Sie wirkt schon recht bizarr. Doch nachdem sie sich Hals über Kopf in den Komponisten verknallt und doch feststellen muss, dass diese Liebe nicht auf Gegenseitigkeit beruht, macht sie Nägel mit Köpfen und verlässt ihn. Sie legt im ersten Akt eine unglaubliche Entwicklung ihrer eigenen Persönlichkeit hin. Im zweiten Teil verwandelt sich Ulbricht in die Roboterfrau Gou, die von Jerome so programmiert wurde, dass sie gut mit Kindern umgehen kann. Eben noch Mensch gewesen und im nächsten Moment eine Maschine. Diese Wandlung ist einfach grandios zu beobachten. Als Zoe noch hoch emotional und empathisch; als Gou gehen Ulbricht alle menschlichen Züge verloren. Eine brillante Leistung, solch einen Quantensprung hinzulegen. Damit spielt sie sich nicht nur ins Gedächtnis der Zuschauer, sondern auch in ihre Herzen.

Für Anne Hoffmann bietet dieses Stück auch eine Chance. Für sie ist es die erste Inszenierung am Theater Magdeburg und gibt von Anfang an Vollgas. Im ersten Akt verkörpert nämlich sie Gou. Im Gegensatz zu Ulbricht besteht ihr Roboter-Dasein aus Fehlinterpretationen von Codes und wirkt etwas eingerostet. Obwohl es sich immer um die gleiche „Maschine“ handelt, hat jede Interpretation dieser Figur Alleinstellungsmerkmale. Im zweiten Teil verwandelt sich Hoffmann in die Ex-Frau von Jerome. Als Corinna zeigt auch sie ihre menschliche Seite. Sie verkörpert eine typische Frau, die sich um das Wohl der Familie sorgt und begutachtet die neue Frau an Jeromes Seite von oben bis unten. Trotz anfänglicher Eifersucht durchschaut sie von Zeit zu Zeit das Spiel ihres Mannes und spielt mit offenen Karten, um doch noch eine Chance auf Versöhnung zu haben.
Ralph Opferkuch verkörpert einen Mann, der unter seinem zerbrochenen Familienleben leidet. Er versucht sich mit der Musik abzulenken, doch dieses gelingt ihm leider nicht mehr. Zu tief sitzt der Schmerz, dass er seine Tochter geliebte Tochter nicht mehr sehen darf. Doch der Zuschauer spürt förmlich, wie wichtig es ihm ist, dass die Wogen geglättet werden und dass er das Sorgerecht für Geain erhalten möchte und mit skurrilen Mitteln daran setzt, dieses zu bekommen. Da nutzt er es natürlich auch aus, dass Zoe Herzchen für ihn in den Augen hat und scheut auch nicht vor falschen Gefühlen zurück. Und obwohl er ein brillanter Schauspieler ist und auch in diesem Stück nicht zu kurz kommt, überlässt er die ganz großen Momente seinen zwei Kolleginnen Ulbricht und Hoffmann. Trotzdem bekommt man als Rezipient nicht das Gefühl vermittelt, dass Figuren vernachlässigt wurden.
Auch Marian Kindermann zeigt in einer Doppelrolle wieder einmal, dass er das Comedy-Genre hervorragend beherrscht. Einmal als Lupus, ein Kumpel von Jerome, der sich immer mal wieder via Videoprojektion zu Wort meldet und dann auch noch als Mervyn, der vom Jugendamt die Zustände bei Jerome prüfen möchte. Und wer denkt, dass der Mann vom Jugendamt die einzig ernst zu nehmende Person dieses Stückes ist, liegt komplett daneben. Denn Mervyn ist selbst irgendwo noch ein Kind geblieben. Er lässt sich leicht von der Roboterfrau ablenken und ist für sein Alter auch ziemlich naiv. Brüller erntet Kindermann aus dem Publikum vor allem für seine Wort-Tanzeinlagen à la Baumschule. Und obwohl Carmen Steinert als Geain eher eine Nebenrolle spielt und ihr Talent nicht vollends in diesem Theaterstück unter Beweis stellen kann, mag ihr erstes Auftreten bei einigen Zuschauen für entgleisende Gesichtszüge sorgen. Doch kaum ein Satz geht ihr über die Lippen, der beim Publikum nicht für ein Schmunzeln oder einen Brüller sorgt.

„Ab jetzt“ ist nicht nur einfach eine unterhaltsame Komödie des Schauspielhauses. Durch die Raumbühne wirkt das ganze Treiben noch lebendiger. Diese Inszenierung sorgt nicht nur dafür, dass der Kiefer nach der Vorstellung vom vielen Lachen schmerzt. Nach der Vorstellung sollte auch jeder begeistert von der schauspielerischen Leistung sein, die einem in diesem Stück geboten wird. Die Besetzung ist einfach grandios und darüber wird auch der Rezipient sicher noch lange von sprechen. Außerdem bietet es eine etwas ungewöhnliche, dennoch hervorragende Kulisse für das Publikum mit der Raumstation, die für zukunftsorientierte Produktionen ins Leben gerufen wurde. Die Science-Fiction-Komödie von Alan Ayckbourn ist wieder ein Beweis dafür, dass kleine Theater auch ganz groß sein können. Regisseur Stephan Thiel und Ausstatterin Christiane Hercher haben ein Händchen für das Außergewöhnliche und legen für die weiteren Produktionen, die in der Raumstation stattfinden, hohe Erwartungen.