„Noch war er frei!“ – Franz Kafkas „Der Prozess“ als Zwei-Personenstück im Schauspielhaus Magdeburg

Der Großteil von Schülern der Oberstufe in Deutschland treten unweigerlich mit mindestens einem der Werke von Franz Kafka in Kontakt. Dabei setzen sie sich unabhängig von der Lektüre mit dem immer wiederkehrenden Protagonisten K. auseinander. Seine Lektüre ist bekanntlich keine leichte Kost. Das findet auch Schauspieler Uwe Fischer. Eigentlich gehört er seit der aktuellen Spielzeit dem Schauspielensemble im Schauspielhaus Magdeburg an. Doch im Rahmen der Reihe „Sprungbrett“ stellt er seine erste Regiearbeit auf die Beine – und das nur als ein dynamisches Zwei-Personenstück.

Josef K. wacht am Morgen seines 30. Geburtstags auf und erfährt, dass er verhaftet ist. Er kann zwar weiterhin seine Arbeit als Prokurist einer Bank ausüben, aber trotzdem wird ein Prozess gegen ihn angestrebt. Warum er angeklagt ist, bleibt jedoch völlig unklar. Auf der Suche nach Antworten muss K. allmählich feststellen, dass er der Situation ausgeliefert ist.

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Ein Aufseher (Daniel Klausner) überbringt K. (Christoph Förster) die Nachricht seiner Verhaftung.; Foto: Nilz Böhme

Als erster Schauspieler am Theater Magdeburg bekommt Uwe Fischer die Möglichkeit, sein Talent als Regisseur und Autor mit diesem Stück unter Beweis zu stellen. Und er machte es sich nicht gerade leichter, indem er sich dafür entschied, nur zwei Schauspieler für seine Fassung, die er zusammen mit der Dramaturgin Laura Busch schrieb, mit an Bord zu holen: Christoph Förster und Daniel Klausner. Während Förster sich ganz auf die Rolle des Josef K. konzentrieren kann, muss Klausner zwischen allen anderen Rollen hin- und herwechseln können. Klingt auf jeden Fall nach einer ziemlichen Herausforderung.

Jeder, der die Werke von Kafka nicht kennt, sollte trotzdem eine Sache auf jeden Fall wissen: Bei ihm wird man immer ins kalte Wasser geworfen. Er spielt gerne mit der Unwissenheit der Leute und genau dieses Prinzip übernimmt auch Uwe Fischer für seine Inszenierung von „Der Prozess“. Doch wer mit der Erwartung in das Stück geht, dass man sich durchgängig stark konzentrieren muss, der liegt ein wenig daneben. Denn Fischer schafft einen angenehmen Wechsel zwischen Ernsthaftigkeit und Komik. Allein in der Eröffnungsszene wird schon eingeläutet, dass der Stoff nicht trocken rüber gebracht werden soll. Ein Grund dafür ist womöglich, dass das Publikum nicht nur der stille Beobachter ist, sondern auch selbst in das Stück durch die Protagonisten mit eingebunden wird. Es findet ein angemessenes Maß an Interaktion statt. Das zeigt dem Zuschauer, dass er sich für diesen Prozess keine Sorgen um Kopfschmerzen machen muss, weil er möglicherweise mit durchweg hartem Toback rechnet. Es fällt einem durch bestimmte Einschübe, die hier leider nicht thematisiert werden können, da der Überraschungseffekt sonst genommen wird, leichter, neu gewonnene Informationen besser und simpler zu verarbeiten. Der feine Hauch von Lockerheit schiebt das Schauspiel keineswegs in eine lächerliche Richtung. Auch die Entscheidung, das Stück ein wenig moderner zu gestalten, sollte sich als lohnenswert herausstellen. Außerdem wird der Platz des Foyers vollkommen ausgenutzt und dient trotz wenigen und simplen Ausstattungen für neue Kulissen. Der Zuschauer ist mittendrin im Prozess statt nur dabei und wird in einigen Szenen selbst zur Statisterie.

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Josef K. (Christoph Förster) begreift allmählich, dass es nicht gut um seinen Prozess steht.; Foto: Nilz Böhme

Für diejenigen, die den Roman kennen und Kafka verstehen, können die 90 Minuten noch mehr mit Genuss verbringen, da sie die Pointen eher durchblicken sollten als jemand, für den das Gesehene und Gehörte Neuland ist. Wenn eine Schulklasse beispielsweise vor der Wahl stehen sollte, die Bühnenfassung zu erleben, dann ist das eine durchaus gute Entscheidung. Nur ist es wichtig anzumerken, dass der Prozess im Schauspielhaus nicht den Roman-Klassiker ersetzt. Es wurden einige Figuren und Kapitel gestrichen, wovon nicht jeder Deutschlehrer begeistert sein wird. Und obwohl Daniel Klausner seine zig Rollen mit viel Liebe und Vielfalt verkörpert, könnte es trotzdem an manchen Stellen für Unklarheiten bei denjenigen sorgen, die sich bisher noch nicht mit dem Prozess großartig beschäftigt haben. Dennoch muss man an dieser Stelle auch festhalten, dass die wichtigsten Figuren auf jeden Fall vorkommen und auch das Stück tragen. Kurzum: Hier wurde sich auf das Wesentliche konzentriert. Für ganz pingelige Kafka-Sympathisanten: Der Aspekt, dass Josef K. ein ziemlicher Frauenheld ist, kommt für einige vielleicht ein wenig zu kurz. Für Fischer sind die psychologischen Komponente wichtiger – und auf der Bühne funktioniert das super. Am Ende werden die Meinungen möglicherweise nochmal gespalten. (Wer sich noch überraschen lassen möchte, hört an dieser Stelle kurz auf zu lesen und springt zum nächsten Absatz, weil jetzt Spoiler folgen werden.) Das Motiv „Tod“ ist in dem Stück für manche Rezipienten nicht vollends des berühmten Autors würdig. Kafka selbst legte schon immer unheimlich viel Wert auf den Tod in seinen Literaturstücken. Ein „Grande Finale“ bleibt somit evtl. für das Publikum aus (bzw. ist für einige Zuschauer nicht angemessen genug) und bei Schülern beispielsweise, für die dieses Stück komplettes Neuland ist, könnten doch einige Fragezeichen auftauchen. Doch dann sollte man sich wieder ins Gedächtnis rufen, dass es eigentlich in Kafkas Natur liegt, seine Leser durchweg mit Unwissenheit zu plagen. Deswegen wird Fischer nicht ohne Grund sein Ende so gestaltet haben.

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Josef K. (Christoph Förster) entzieht dem bettlägrigen und geschwächten Advokaten (Daniel Klausner) seine Verteidigung.; Foto: Nilz Böhme

Besonders hoch anrechnen sollte man aber die Arbeit der zwei Schauspieler, die wirklich durchweg zeigen, was in ihnen steckt. Christoph Förster schafft es, obwohl er durchweg der Hauptcharakter bleibt, diesem immer wieder neue Impulse zu geben. Er kann von dem einen zum anderen Moment von 0 auf 100 hochkochen, wie ein Rumpelstilzchen ausrasten, wirkt dabei aber trotzdem authentisch und sympathisch und nicht aufgesetzt. Seine Präsenz ist immer vorhanden, auch wenn er mal nicht durchweg der Mittelpunkt des Geschehens ist. Förster liegen solche Rollen von Natur aus im Blut. Er verkörpert K. mit sehr viel Selbstbewusstsein. Des Weiteren gibt seine Figur immer offen seine Meinung kund, auch wenn sein Gegenüber nicht immer begeistert davon ist. Sein Gegenüber ist in diesem Falle Daniel Klausner, der noch einen lauteren Applaus verdient hat, als sein Kollege Förster. Nicht, weil dieser nicht vollends überzeugen kann, sondern weil er einfach einen leichteren Job hat, da er sich voll und ganz einer einzigen Figur widmen kann, was bei Klausner offensichtlich nicht der Fall ist. Es ist nicht nur einfach eine Kunst ist, mehrere Rollen gleichzeitig verkörpern zu können. Es ist eher eine Gabe – und diese hat Klausner ohne jeden Zweifel. Nicht nur durch allerlei Kostümwechsel, sondern auch durch verschiedene Dialekte, Stimmlagen und Körperhaltungen zeigt er die Kontraste und Raffinesse seiner Figuren. Sollten ihm evtl. mal einige Fehler unterlaufen, so mag es dem Rezipienten nicht offensichtlich auffallen. Er springt (wortwörtlich) über Tisch und Bänke, ohne jegliche Erschöpfung zu zeigen. Auch für ihn mag dieses Stück eine Art Sprungbrett sein, da er doch noch recht jung im Schauspielgeschäft ist. Die Konstellation Förster und Klausner funktioniert einwandfrei, da man die Harmonie zwischen den beiden spürt. Eine extrem starke Leistung, wo man wirklich sagen muss, dass sich harte Arbeit immer auszahlt. Regisseur Uwe Fischer zeigt damit ein gutes Gespür und beweist mit seiner Besetzung, dass sein Prozess sehr gut auf diese Art und Weise funktioniert. Es bedarf nicht immer einer Bandbreite an Schauspielern für ein bestimmtes Stück. Man könnte meinen, dass er zu sich selbst gesagt hat: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Gähnende Langeweile? Nicht mit Uwe Fischers Inszenierung des berühmten Klassikers „Der Prozess“. Seine erste Regiearbeit absolviert er überraschend souverän mit viel Feinfühligkeit für den harten Stoff, woran sich auch ein Profi die Zähne ausbeißen könnte. Seine Bühnenfassung von Kafkas bekanntesten Romanfragment stellt insbesondere für Schulklassen eine schöne Ergänzung zum Thema dar. Mit diesem Stück stellt er unter Beweis, dass er nicht nur ein schauspielerisches Talent besitzt. Es wäre für ihn erstrebens- und für Theaterbegeisterte wünschenswert, weiterhin der Arbeit als Regisseur und Autor nachzugehen.

Wer selbst am Prozess von Josef K. im Schauspielhaus teilnehmen möchte, der kann sich Einlass gewähren, indem er sich eine Eintrittskarte von den Türhüterinnen, ähhh… natürlich von den Damen an der Theaterkasse ausstellen lässt. Ansonsten kann man sich auch unter http://www.theater-magdeburg.de ein Ticket sichern.

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„Bravo! Warum denn nicht? Bravo! Und wieder Bravo!“ Ein gelungener Auftakt für die Reihe „Sprungbrett“ durch Uwe Fischer (links außen), Christoph Förster (2. von links) und Daniel Klausner (rechts außen).

*Diese Rezension entstand in Zusammenarbeit mit Melisa Mešinović.

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