2017 ist nun Vergangenheit. Ich habe viel erlebt und gesehen. Eine der schönsten Zeiten hatte ich in Bukarest. Aber es gab auch Dinge, die mir sehr gefehlt haben. Dazu zählt u.a. auch das Theater. Leider waren meine Kenntnisse der rumänischen Sprache zu dem Zeitpunkt noch nicht das Gelbe vom Ei und deshalb habe ich auch kein Stück in Bukarest gesehen. Und als ich dann wieder in Deutschland war, war die Spielzeit fast vorbei. In den letzten Monaten habe ich dementsprechend viel nachgeholt. Ein Theaterstück, was ich erst ziemlich spät auf dem Schirm hatte, war ein absoluter Klassiker: „Romeo und Julia“ von William Shakespeare.
Die Thematik ist jedem bekannt. Nochmal kurz zusammengefasst: Zwei junge Leute, deren Familien verfeindet sind, verlieben sich ineinander. Sie müssen ihre Liebe und ihre Heirat geheim halten. Konflikte bringen Unheil über das junge Glück. Und durch eine Reihe von unglücklichen Verkettungen der vielen Ereignisse werden beide in den Selbstmord getrieben.
Ich selbst bin seit meiner frühen Kindheit fasziniert von diesem Stück. Natürlich ist Leonardo DiCaprio nicht ganz unschuldig daran. Er spielte den Romeo in der Verfilmung von Baz Luhrmann aus dem Jahre 1996. Deswegen konnte ich mich schon immer für die „gekünstelte“ Sprache begeistern und hatte auch nie große Schwierigkeiten mit komplizierten Texten oder Stücken. Während einige meiner Mitschüler gähnend im Deutschunterricht saßen, als wir uns mit diesen Stücken beschäftigten, sog ich jede einzelne Passage auf und interessierte mich für die Bedeutung. William Shakespeare war in meinen Augen jemand, der das Spiel mit den Gegensätzen verstand und viele Wege und Interpretationen eröffnete. Ja, ich würde ihn sogar als eine Art Genie bezeichnen. Und obwohl gefühlt jedes Theater „Romeo und Julia“ in Szene sitzt, habe ich es bis 2017 nie geschafft es zu sehen. Oder besser gesagt: Die Neugierde für mir unbekannte Schauspiele war dann doch etwas größer. Aber da ich mittlerweile in einem richtigen Flow bin und das Schauspielhaus Magdeburg seit Oktober die Tragödie wiederaufgenommen hat, entschloss ich mich endlich es mir anzusehen. Eigentlich gibt es die Inszenierung von Cornelia Crombholz schon seit der Spielzeit 2014/2015. Doch es hat sich auch bis 2017 viel getan. Die meisten Figuren wurden durch neue Schauspieler ersetzt, da sich natürlich auch das Ensemble in der Zeit geändert hat. Einen Vergleich zu der kompletten Originalbesetzung habe ich nicht, was ich auch nicht schlimm finde. Denn ich bin mir sicher, dass ich so oder so begeistert gewesen wäre.
Um wirklich ehrlich zu sein: Ich saß teilweise mit offenem Mund in der Vorstellung und musste auch anfangs nach Worten suchen, die meine Begeisterung zum Ausdruck bringen konnten. Wahrscheinlich finde ich diese auch jetzt noch nicht. Zumindest die, die diese Inszenierung wirklich verdient hat. Ja, ich bin mehr als begeistert. Geflasht ist glaube auch noch zu milde ausgedrückt. Ach, ich versuche einfach so gut es geht zu beschreiben, warum ich die Inszenierung von Cornelia Crombholz so sehr liebe.

Wer ein 08/15-Stück erwartet, der liegt jetzt schon mehr als daneben. Wer an Shakespeare denkt, der rechnet meistens mit etwas Altmodischem. Auf der Bühne des Schauspielhauses kriegt man aber eine Version geboten, die moderner ist. Modern; klingt eigentlich ganz gut, aber jetzt könnte ja die Angst entstehen, dass der Charme des Stücks komplett über Bord geworfen wird. Keineswegs. Allein die Sprache bleibt trotz allem romantisch und geht in die Tiefe. Die Party bei den Capulets würde auch der ein oder andere Zuschauer besuchen, mit der elektronischen Musik, die dort gespielt wird. Auch Christiane Hercher, die für die Kostüme zuständig ist, mixt gekonnt Vintage mit der Moderne. Alles wirkt sehr edel und bis ins kleinste Detail durchdacht. Man kann die Capulets mit den Montagus allein an deren Kleidung unterscheiden und man kann mit dem bloßen Auge erkennen, welcher Schicht sie angehören. Marcel Keller übertrifft alle Erwartungen mit dem Bühnenbild, welches er auf die Beine gestellt hat. Für ein Schauspiel in einem doch nicht allzu großem Haus ist es schon beachtlich, wie viele Settings es in den zwei Stunden und 45 Minuten gibt. Obwohl sich viel bewegt, sind die Kulissenwechsel ziemlich schlicht, aber sie drängen sich dem Publikum auch nicht auf. Aber was wäre ein Theaterstück ohne seine Schauspieler? Die Frage brauche ich niemandem zu beantworten. Möglicherweise lehne ich mich jetzt ein bisschen weit aus dem Fenster, aber vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich es nicht schlimm finde, dass ich nur die aktuelle Besetzung kenne: Ich könnte mir keinen besseren Cast für dieses Stück vorstellen.
Ralph Opferkuch gehört für mich mittlerweile zu den ganz Großen auf der Bühne. Es ist immer wieder ein Genuss ihm zuzusehen und zuzuhören. Auch als Romeo zieht er nicht nur mich, sondern auch das komplette Publikum in den Bann. Gesegnet von der Liebe, eingeholt von Wut und Hass, rachesüchtig und entschlossen. Man hängt förmlich an seinen Lippen, wenn er Julia seine tiefe Zuneigung gesteht und man will auch sein Freund sein, so wie Benvolio (Cornelius Gebert) und Mercutio (Amadeus Köhli). Er ist wie der Junge von nebenan, dem man das Glück der ganzen Welt wünscht. Außerdem ist Ralph Opferkuch ziemlich sportlich und akrobatisch unterwegs. Auch Jenny Langner passt ausgezeichnet in die Rolle von Julia Capulet. Man kauft ihr ab, dass sie wirklich dieses junge Mädchen ist, welches nicht bereit ist, einen Mann zu heiraten, für den sie sich nicht begeistern kann. Obwohl sie Geheimnisse vor ihrer Mutter (Susi Wirth) und ihrem Vater (Zlatko Maltar) hat, versucht sie es doch allen irgendwie recht zu machen; auch wenn sie innerlich Höllenqualen leidet. Sie wirkt zwar zerbrechlich, aber eigentlich ist sie eine ganz starke Persönlichkeit und ist in ihrem Handeln entschlossen. Der heimliche Star der Besetzung ist aber Michaela Winterstein als Julias Amme. Sie sorgt für die meisten Lacher und wird zur besten Freundin des gesamten Publikums. Jedes Mal, wenn sie die Bühne betritt, fragt man sich, welchen kessen Spruch sie als nächstes abfeuert. Für Julia ist die Amme die eigentliche Mutter und man merkt auch, dass die Beziehung zu den beiden stärker ist, als zu den Blutsverwandten. Die Amme ist einfach eine coole Socke mit ihrer stylischen Sonnenbrille und ihrem Schnäpschen, den sie ab und an mal braucht. Dennoch hat jeder einzelne Schauspieler große Anerkennung verdient.

Mein absolutes Highlight der Inszenierung ist eigentlich, dass die Kapelle nicht einfach nur eine Kapelle ist. Nein, sie ist mehr eine Band. Wie cool ist die Idee denn bitte, in einem Bühnenklassiker Musik unserer Zeit einzubauen? Und wie grandios ist es letztendlich, wenn man merkt, dass es sogar nicht zu übertrieben für Shakespeare ist? Muse und U2. Passt nicht? Überzeugt euch selbst. Ich bin ein großer Fan dieser Idee. Das Theater Magdeburg hat nun mal ein sehr musikalisches Ensemble.
Ich könnte das alles noch ziemlich ausdehnen, aber das ist glaube auch nicht Sinn der Sache. Mir würde es viel mehr gefallen, wenn ich euch ein wenig mit meiner Begeisterung neugierig machen konnte. In der aktuellen Spielzeit hättet ihr noch zweimal die Chance euch selbst ein Bild über das Stück zu machen. Karten könnt ihr wie immer unter http://www.theater-magdeburg.de und an der Theaterkasse erhalten.