Mit Nikolai Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ am Schauspielhaus Magdeburg in der Inszenierung von David Czesienski kommt wieder einmal ein Monodrama auf die Bühne. Dieses Mal gebührt Christoph Förster die Ehre zu zeigen, dass er solch ein schweres Stück rund 90 Minuten alleine tragen kann. Doch ist der 32-jährige Berliner dieser anspruchsvollen Rolle bereits gewachsen?
Aksenti Iwanow Propristschin (Christoph Förster) arbeitet im Ministerium, hauptsächlich als Stifteanspitzer. Jeden Morgen liest er die Sprüche seines Abrisskalenders, bevor er den Weg zur Arbeit antritt. Im Ministerium wird er von seinem Abteilungsleiter gemobbt und von seinen Kollegen ignoriert. Doch plötzlich legt sich ein Schalter um. Er wirft den Selbsthass immer mehr ab, Hunde beginnen mit ihm zu sprechen und er nimmt fremde Blicke wahr. Als er in der geschlossenen Psychiatrie landet, kann er sich voll und ganz seiner Bestimmung und seiner eigentlichen Identität hingeben.

Ein Quadratmeter Spielfläche wird im Studio abgeklebt. Auf dem Boden liegen hunderte weiße Blätter. In diesem Rechteck spaziert Christoph Förster alias Aksenti Iwanow Propristschin schon vor Beginn der Aufführung herum. Er ist in einem lässigen Beamten-Look gekleidet. Als das Scheinwerferlicht nur noch auf ihn fällt, beginnt er noch etwas schüchtern mit den Anwesenden Blickkontakt aufzunehmen. Langsam tastet er sich (an die bereits verfassten Tagebucheinträge, die verstreut auf dem Boden herumliegen) heran und beginnt seine Geschichte zu erzählen. Försters Propristschin ist ein akkurater Mitarbeiter im Ministerium, der nicht nur seine Arbeit gewissenhaft erledigt, sondern auch perfekt das Beamtendeutsch beherrscht. Er lässt durchscheinen, dass seine Kollegen durch ihn hindurchsehen, als würde er gar nicht anwesend sein. Dabei ist Propristschin ein sympathischer Kerl. Denn Förster schafft es bereits in den ersten Minuten, das Publikum mit seinem verschmitzten Lächeln und seiner lockeren Art zu fesseln. Nebenbei mimt er auch noch die anderen Figuren, von denen er in seinen Erzählungen spricht. Er versucht die unangenehmen Situationen, in denen er verfällt, mit Humor zu nehmen und mit einer kleinen Portion Selbstbewusstsein zu überspielen. Doch irgendwann fehlt ihm die Kraft und er lässt alle daran teilhaben, dass er keine Perspektive auf Anerkennung hat. Sei es im Job oder im Privatleben. Er wirkt fehl am Platze und auf dieser Welt, da niemand ihm eine Chance geben möchte, mit ihm in Kontakt zu treten. Förster ist in dieser Rolle unglaublich wandelbar und ausdrucksstark in Mimik und Gestik. Während er in einem Moment alle zum Lachen bringt, schafft er es, dass man im nächsten Augenblick seinen innerlichen Schmerz spürt. Das Taschentuch, an dem er sich vehement festklammert, ist das einzige, was ihn etwas zur Ruhe bringen kann. Christoph Förster vermittelt in den 90 Minuten das Bild eines Mannes, der einfach nur von der Gesellschaft akzeptiert werden möchte, es aber nicht wird. Als dann der Knoten platzt und er den Selbsthass nicht mehr kontrollieren kann, spürt der Rezipient, wie sich sein Selbstbewusstsein von 0 auf 100 verändert. Er pflanzt sich selbst ein Bild in seinen Kopf, welches nicht der Realität entspricht. Doch in der Scheinwelt, in der er lebt, wird er so behandelt, wie er es für richtig zu halten scheint bzw. man nimmt ihn wahr, so wie er es sich immer gewünscht hat – und sogar darüber hinaus.
In der Inszenierung von David Czesienski wird schonungslos eine Problematik der Gesellschaft gezeigt, die recht viele Menschen betrifft. Jeder Mensch möchte von jemandem wahrgenommen und mit seinen Ecken und Kanten so akzeptiert werden, wie er ist. Aber leider bekommt nicht jeder das Gefühl vermittelt, geliebt und von anderen gebraucht zu werden. Noch immer werden Menschen für bestimmte Dinge gehänselt oder aus unterschiedlichen Gründen als minderwertig angesehen, was dazu führt, dass man Probleme mit der eigenen Psyche bekommt. Die Figur des Aksenti Iwanow Propristschin ist ein Paradebeispiel der höchsten Stufe der Auswirkungen solcher Erniedrigungen. In der eigenen Fantasie lässt es sich manchmal besser leben, als in der Realität. Genau dieses Gefühl vermittelt Förster in dieser Produktion. Als er sich selbst einredet, dass er der König von Spanien sei und die spanische Delegation auf dem Weg zu ihm ist, spürt das Publikum, dass es ihm mit diesem Gedanken weitaus besser geht als zuvor. Propristschin hat endlich eine Aufgabe und bekommt Aufmerksamkeit von seinen Mitmenschen. Er merkt nicht, dass es sich bei diesen Menschen um Ärzte handelt und er auch nicht mehr in seinem eigenen Zimmer lebt. Aber es gibt ihm ein gutes Gefühl, dass man ihn jetzt beachtet und ihn in der Rolle leben lässt, die er für sich kreiert hat.

„Tagebuch eines Wahnsinnigen“ am Schauspielhaus Magdeburg vermittelt auf eine charismatische, aber auch schonungslose Art und Weise die Problematik von dem Ausschluss von Menschen mit Eigenarten, die aufgrund ihres gewöhnungsbedürftigen Charakters nicht von allen akzeptiert werden und sich deswegen ihre eigene kleine Traumwelt erschaffen, in der sie ganz sie selbst sein können und die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Gleichzeitig spürt man in dem Psychoprogramm, dass es nicht nur die Menschen sind, die sich gegenseitig kaputt machen. Auch das System trägt einen großen Teil dazu bei. Es ist bemerkenswert, Christoph Förster dabei zu beobachten, wie er immer tiefer dem Wahnsinn verfällt und wie er aus seiner inneren Leere ausbricht und seine heimlichen Wünsche in seiner Fantasie Gestalt annehmen. Er zeigt in dieser Produktion erneut, dass er sein Handwerk perfekt beherrscht und dass er jedes Repertoire ohne große Mühe bedienen kann. Neben der doch recht ernsthaften Thematik, aus dem das Stück besteht, werden die Lachmuskeln dennoch strapaziert. Ein unterhaltsamer, aber gleichzeitig auch nachdenklicher Abend wird garantiert. Karten gibt es an der Theaterkasse oder unter http://www.theater-magdeburg.de.