Was wäre, wenn…: Corinna Harfouch ist „Die Präsidentin“

Am 07. Mai 2017 wurde Emmanuel Macron zum Staatspräsidenten von Frankreich gewählt. Somit ist das Land haarscharf an einer rechtsextremen Welle durch die Front National mit Marine Le Pen an der Spitze der Partei vorbeigerudert. Die Autoren François Durpaire und Farid Boudjellal haben aber versucht sich auszumalen, wie es hätte aussehen können, wenn Le Pen als Siegerin nach Hause gegangen wäre. Ihr Comic „La Présidente“  feierte 2015 ziemlich großen Erfolg. Diese Fiktion hat es mittlerweile unter dem deutschen Namen „Die Präsidentin“ auf die Bühne geschafft. Für das Theater Magdeburg zieht keine Geringere als die Schauspieldirektorin selbst die Strippen: Die Inszenierung von Cornelia Crombholz feierte bereits am 12. Mai 2018 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen Premiere. Am 02. Juni fiel erstmals der Vorhang im Schauspielhaus. 

Marine Le Pen (Corinna Harfouch) hat es geschafft. Die Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Front National wurde zur Präsidentin von Frankreich gewählt. Direkt nach ihrer Wahl gibt es Straßenschlachten und ein Bürgerkrieg bricht aus. Schon in wenigen Monaten hat die Staatschefin einen rassistischen Überwachungsstaat errichtet, setzt Massenausweisungen an, besitzt die Atommacht, tritt aus der NATO aus, leitet den Frexit ein und landet in eine Inflation. Doch andere haben es auch auf ihren Posten abgesehen und wollen an die Macht.

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Die Front National (Oliver Niemeier, Marian Kindermann, Daniel Klausner, Corinna Harfouch, Thomas Schneider und Antonia Schirmeister) feiert den Einzug in den Plapperlamentspalast.; Foto: Nilz Böhme

Auf der Bühne geht es hektisch zu. Immer wieder werden Metallrahmen hin- und hergeschoben, an die gelegentlich weiße Platten gehangen werden. Beim genaueren Betrachten dienen diese als Puzzleteile, die gewisse Partien der Projektion, die live von Pierre Balazs gefilmt wird, hervorheben. Trotz des Durcheinanders wirkt jeder einzelne Schritt durchdacht. Denn dieses Chaos steht für den Umbau des Staates, der sich stetig in Bewegung befindet. Die Demokratie bricht immer mehr in sich zusammen. Ganz nach dem Motto „Manege frei!“ sind auch die Kostüme gestaltet, die direkt auf der Bühne gewechselt werden. Allein der Einzug in den Regierungs- bzw. in den „Plapperlamentspalast“ wirkt wie eine einstudierte Zirkusnummer. Unterstrichen wird das Ganze noch durch die blau-weiß-rote Clownsbemalung der Präsidentin. Sinnbildlich gesehen, sieht für einige Menschen so Politik aus; wie ein riesiges Zirkuszelt, wo sich manche von dem Zaubertrick überzeugen lassen und andere wiederum die Magie durchschauen.

Nicht nur das Wirr-Warr brennt sich bei den Zuschauern ein, sondern auch die eher locker vom Mund gehenden Reden und Dialoge der Protagonisten. Fachtermini kommt in den seltensten Fällen zum Einsatz. Und trotzdem kann jeder das Debakel nachvollziehen. Auch etwas ausgefallenere Begrifflichkeiten wie beispielsweise Pinkepinke werden gerne benutzt. Des Weiteren wird nicht ausschließlich über die Lage in Frankreich diskutiert, sondern über die von ganz Europa. Crombholz lässt auch gerne scharfe Spitzen in Richtung Sachsen-Anhalt werfen. Auch die mediale Berichterstattung spielt eine zentrale Rolle in dem Stück, die ebenfalls einen großen Einfluss auf das politische Geschehen hat.

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Das Publikum kann die Übertragung einer Besprechung verfolgen, die sich hinter der Bühne in einem Auto abspielt (Ralph Opferkuch, Oliver Niemeier, Thomas Schneider, Burkhard Wolf, Daniel Klausner, Corinna Harfouch und Christoph Förster).; Foto: Nilz Böhme

Diese Produktion ist wahrscheinlich die Vollendung eines Wegs. Denn der Spielplan in der Spielzeit 2017/2018 wurde deutlich politisch ausgerichtet. Mit „Antigone und Ödipus. Trilogie der Verfluchten“ wurde die Spielzeit eröffnet. Die Thematik des Stückes richtet sich auf die Entstehung der Demokratie im antiken Griechenland. „Die Präsidentin“ zielt darauf ab, ein mögliches Ende der Demokratie zu beschreiben. Wer die Abschlussproduktion der aktuellen Spielzeit sieht und auch das Eröffnungsstück kennt, dem dürfte an der ein oder anderen Stelle ein Licht aufgehen. Cornelia Crombholz und Dramaturg David Schliesing haben nicht nur einen Teil der Kulisse mit übernommen, sondern auch die ein oder andere einprägsame Zeile der Sprechchöre aus der Trilogie der Verfluchten. Für den unverwechselbaren Stil dieser Chöre sorgt erneut Alexander Weise.

Wer Crombholz kennt, der weiß, dass sie viel mit Musik in ihren Inszenierungen arbeitet. Dieser Aspekt kommt auch dieses Mal nicht zu kurz. Nicht umsonst besteht das Ensemble aus einer Vielzahl von musikalischen Schauspielern. Die Livemusik, für die David Schwarz und Maren Kessler verantwortlich sind, hinterlassen beim Publikum einen bleibenden Eindruck. Ihre Lieder haben Ohrwurmpotential. Die Schauspieler legen auch hier wieder selbst Hand an; spielen die Instrumente und singen oder sprechen zu der Musik. Das Ensemble in Magdeburg hat eine Vielzahl an musikalischen Talenten und allein deswegen ist diese Inszenierung schon aus dieser Sicht ein absolutes Highlight. Gänsehautmomente sind garantiert.

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Bei der Wahlparty hält die Präsidentin eine erste Ansprache (Christoph Förster, Corinna Harfouch, Daniel Klausner, Antonia Schirmeister, Ralph Opferkuch und Marian Kindermann).; Foto: Nilz Böhme

Für die Titelrolle konnte die bekannte Schauspielerin Corinna Harfouch gewonnen werden. Sie schafft es, ihrer Figur unterschiedliche Facetten zu geben. Anfangs wirkt sie völlig eingeschüchtert und überfordert mit der Situation, dass sie wirklich an der Spitze steht. Sie wirkt wie eine Marionette des politischen Systems. Doch dann wird ihr wiederum klar, welche Macht sie besitzt, entwickelt sich zu einer Strippenzieherin und tritt ihrem Volke und vor allem auch den Journalisten selbstbewusst gegenüber. Nach dem Aufstieg folgt aber irgendwann der Fall. Der Rezipient entwickelt immer mehr ein Mitgefühl mit der Frau, die auch irgendwo nur ein Mensch mit Fehlern. Letztendlich findet sie sogar ihre wahre Berufung, welche nicht die Politik zu sein scheint. In den zwei Stunden und zehn Minuten zeigt sie in voller Bandbreite ihr schauspielerisches Können.

Obwohl Harfouch das Stück trägt, spielen ihr acht fantastische Schauspieler aus dem Ensemble zu, die sie keineswegs in den Schatten stellt. Da wäre z.B. Oliver Niemeier. Er gehört als Schlange zwar zur Gefolgschaft der Präsidentin, schmiedet aber insgeheim Pläne, wie er sie vom Thron stoßen kann, da er nicht mehr die Drecksarbeit für sie erledigen möchte. Er synchronisiert auch gerne mal seine Kollegen mit typischen Comic-Stimmen. Christoph Förster brilliert nicht nur als Moderator der Wahlparty im Napoleon-Kostüm und Meister der Improvisation, sondern gibt auch u.a. einen herrlich arroganten Journalisten ab. Ralph Opferkuch hat seine Glanzmomente vor allem am Klavier und zeigt erneut, dass er ein grandioser musizierender Schauspieler ist. Auch Antonia Schirmeister sticht aus dem Ensemble heraus. Anfangs ist sie noch unauffällig und versteckt sich fast schon hinter den Rücken der Minister, doch sie entwickelt sich immer mehr zu einer wahren Erscheinung und Größe ihrer selbst. Schirmeister besitzt die Kunst ihre Gefühlslagen vor allem über ihren Gesichtsausdruck zu transportieren. Doch sie ist auch stimmgewaltig und verleiht ihrem manchmal ziemlich clownshaften Auftreten eine exzellente Glaubwürdig- und Standhaftigkeit. Bemerkenswert bei allen Protagonisten sind die Stellen, an denen sie improvisieren und somit auch ein Stück weit ihre eigene Meinung zu gewissen Themen kundtun dürfen. Von ihnen wird außerdem körperlich viel abverlangt. Die Anstrengung ist kaum zu spüren. Es stehen Profis auf der Bühne, die das Stück und ihre verschiedenen Rollen leben.

Beim genaueren Betrachten kann auch bei der Besetzung wieder ein Bogen zu „Antigone und Ödipus“ geschlagen werden. Niemeier, Förster und Schirmeister weisen gewisse Charaktereigenschaften auf, die auch ihre jeweiligen Figuren in dem Eröffnungsstück prägen. Man kann darüber spekulieren, ob Crombholz den Schauspielern genau diese Rollen zugewiesen hat. Dennoch geht dieses Muster hervorragend auf.

„Die Präsidentin“ ist schrill, laut, grotesk und anspruchsvolles Theater. Die Inszenierung lebt von den ständigen Bewegungen der Kulisse, von den Ups und Downs der Ereignisse, von den Live-Dokumentationen und -schalten und vor allem auch von den musikalischen Elementen. Ebenfalls wird der Zuschauer trotz überwiegender Utopie mit der brutalen Realität konfrontiert. Es ist nicht nur die Titelrolle, die hochkarätig besetzt wurde, sondern die Crème de la Crème des Magdeburger Schauspielensembles versammelt sich auf der Bühne und bleibt dem Publikum ebenfalls im Gedächtnis. Diese Produktion ist möglicherweise in einigen Aspekten empfehlenswerter als mancher Zirkus-Besuch. Die Artisten auf der Bühne haben immer eine Überraschung und einen Trick parat.

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Bei der Premiere wurde das Ensemble mit minutenlangem Applaus und stehenden Ovationen überschüttet.

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