Es ist das Ereignis schlechthin zum Ende der Spielzeit in Magdeburg: das DomplatzOpenAir des Theaters. Dieses Jahr steht eine Produktion auf dem Plan, die nicht besser in die schon vorhandene Kulisse mit dem Dom passen würde. Es handelt sich dabei um die bekannte Broadway-Produktion „Jesus Christ Superstar“ von dem Erfolgskomponisten Andrew Lloyd Webber, welches Generationen von Musicalfans von den Sitzen reißt. Regisseur Sebastian Ritschel und der Musikalische Leiter Damian Omansen, die bereits zusammen „Cabaret“ in Magdeburg inszenierten, haben auch für das Sommerhighlight ihre Köpfe zusammengesteckt und wollen mit einem großen Starensemble und einer überdimensionalen Bühne das Publikum zum Rocken bringen.
Das Rockspektakel erzählt von den letzten sieben Tagen von Jesus von Nazareth (Tobias Bieri), der Menschenmassen begeistert und um sich schart. Er wird von seinen Fans wie ein Superstar gefeiert und als Heiler gesehen. Doch dieses Ansehen überfordert ihn immer mehr. Seine Geliebte Maria Magdalena (Julia Gámez Martin) versucht in dieser Zeit seine Stütze zu sein. Judas Ischariot (Timothy Roller), der zu Jesus engsten Anhängern zählt, hat den Personenkult satt und versucht ihn an seine ursprüngliche Idee zu erinnern, scheitert allerdings. Er verrät Jesus an Kaiphas (Bartek Bukowski / Frank Heinrich) und Annas (Martin Mulders). Diese fordern bei Pontius Pilatus (Johannes Wollrab) die Kreuzigung des „Heros“.

Keine Geschichte wird häufiger erzählt, als die von Jesus Christus. Ein uralter Mythos, der als zeitlos gilt. Was 1971 Andrew Lloyd Webber und sein Texter Tim Rice in der Erzählung gesehen haben, sieht der Regisseur Sebastian Ritschel 2018 nicht anders. Die Geschichte kann immer wieder in die Jetztzeit übertragen werden. So entschied sich Ritschel auch dafür, den aktuellen Weg einzuschlagen. Er lässt seinen Jesus wie eine Pop-Ikone (oder für die jüngere Generation einen YouTube- oder Instagram-Star) feiern. Die Menschen wollen ihm Nahe sein und er gibt ihnen die Nähe. Aber wo Fans sind, sind auch Neider und Hater. Diese versuchen mit allen Mitteln die Hysterie zu stoppen. Aber nicht nur mit dem geschichtlichen Backround und der Übertragung auf das Hier und Jetzt unterstreicht Ritschel noch einmal, dass der Stoff zeitlos. Auch seine Kostüme halten sich an das 20. und das 21. Jahrhundert. Er steckt seine Protagonisten u.a. in lockere, dunkle Freizeitbekleidung, aber auch mal in schillernde Roben und Smokings aus den Zwanziger Jahren. Zusammen mit der riesigen Bühne von Rifail Ajdarpasic, bestehend aus unzähligen Treppenaufgängen, einem Wasserbecken und dem riesigen „Hero“-Schriftzug, wirkt das Szenario überdimensional, welches zum Einen perfekt für die spartenübergreifende Neuinszenierung ist und nebenbei ausreichend Platz für die Solisten, dem Opernchor und den Tänzern bietet. Aber das Bühnenbild schafft auch ein Gefühl vom Alleinsein und Verlorenheit bei weniger opulenten Darstellungen. Und dann ist auch noch dieses historische, kirchliche Bauwerk im Hintergrund zu sehen, sodass es dem Bühnenbild an nichts weiter fehlt.

Für dieses Ereignis hat Ritschel sich ein hochkarätiges Ensemble mit bekannten Musicaldarstellern aus dem deutschsprachigen Raum zusammengestellt. Tobias Bieri ist allein schon von Natur aus durch seine goldenen Locken eine Erscheinung. Der gebürtige Schweizer verkörpert einen äußerst charismatischen Jesus, der einfach nur ein normaler Mensch sein und nicht als eine Art Gottheit angesehen werden möchte. Das vermag dem Helden nicht wirklich zu gelingen, da ihm die Situation um seine Person immer mehr aus den Händen gleitet – mit schwerwiegenden Folgen. Seine Emotionen, die er mit seiner Stimme transportiert, verpackt er präzise. Schlussendlich akzeptiert er sein Schicksal und tritt ohne zu mucken seinem Schicksal entgegen, ohne mit Hass dagegen anzukämpfen. Julia Gámez Martin als Maria Magdalena ist eine absolute Bereicherung für dieses Musical. Sie fesselt vor allem mit ihren gefühlvollen Balladen das Publikum auf der Tribüne. Ihre Stimme ist glasklar, stark, atemberaubend und verzaubernd. Sie singt oder spielt nicht nur, sondern sie lebt ihre Rolle von Kopf bis Fuß. Ihre Maria Magdalena will Jesus Geborgenheit und Sicherheit abseits des Hypes, der sich um ihn scharrt, schenken. Mit dem Hit „Wie soll ich ihn nur lieben“ zaubert sie mit ihrer Leidenschaft und Verzweiflung Tränen in die Augen der Zuschauer. Gámez Martin gehört auf die Musicalbühnen dieser Welt, da sie sich ohne große Mühe in die Herzen aller Anwesenden spielt – und vor allem singt.

Auch Timothy Roller als Judas durchlebt eine wahre Achterbahn der Gefühle. Die Geschichte wird hauptsächlich aus seinem Blickwinkel erzählt und kommentiert. Er ist nicht begeistert davon, dass sein bester Freund von so vielen Menschen verehrt wird, da er merkt, dass Jesus der Rolle als Held nicht gewachsen ist und ihm von seinem eigentlichen Vorhaben abbringt. Rollers Judas muss mit sehr Zeit einsehen, dass Jesus seine Worte nicht wirklich reflektiert und lässt sich von Kaiphas und Annas bestechen, indem er seinen besten Freund verrät und ihm damit dem Tode weiht. Kurz nach dieser höllischen und unüberlegten Tat merkt er recht schnell, dass er eine große Dummheit vollbracht hat. Der Schmerz sitzt so tief und er ist innerlich so zerrissen, sodass er nicht mehr mit dem Gedanken daran leben kann und richtet sich selbst. Stimmlich ist Roller im ersten Moment nicht das, was man von der Figur erwartet. Aber er bringt eine Klangfarbe und gleichzeitig auch eine Ausstrahlung mit, der man gerne zuhört und auch bei seiner Wandlung verfolgt. Dabei fällt nicht einmal auf, dass Roller noch ziemlich jung im Musicalgeschäft ist. Er wirkt wie ein jahrelanger Vollprofi. Obwohl Judas nicht gerade ein Ehrenmann ist, bekommt man mit Rollers Darstellung einen Charakter geboten, der sich um seinen besten Freund sorgt und ihm ernsthaft helfen möchte, aber nicht zu ihm durchdringen kann. Das Mitgefühl bekommt er trotz seines Fehlers von den Rezipienten geschenkt.
Die Rock-Oper hat aber nicht nur drei Superstars der Musical-Szene zu bieten, sondern eine ganze Bandbreite von Solisten wie beispielsweise Johannes Wollrab, Martin Mulders und Paul Kribbe, die ebenfalls das Stück zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Mulders hat eine außergewöhnliche Stimmfarbe und hat damit einen großen Wiedererkennungswert. Mit seinen Cornrows und einer kleinen Tolle ist er ein absoluter Trendsetter auf der Bühne. Als Annas hat er immer ein verschmitztes und gleichzeitig boshaftes Lächeln im Gesicht. Kribbe sorgt mit seinem doch recht kurzen Auftritt als König Herodes zusammen mit dem Ballett für einen imposanten Auftritt, der einem nicht mehr so schnell aus dem Gedächtnis gehen wird. Seine Figur ist Ironie des Schicksals, wenn man die vergangenen Minuten vor seinem Erscheinen reflektiert. Aber er ist ein absoluter Entertainer und lockert die etwas düstere Stimmung nach dem Verrat Jesus für einen kurzen Augenblick wieder auf. Ebenfalls Träger der Geschichte sind u.a. Christian Miebach als Petrus, Jannik Harneit als Simon Zelotes, Bartek Bukowski als Kaiphas und auch Beatrice Reece, Eva Zamostny und Jessica Krüger als die Soulgirls. Aber auch der hauseigene Opernchor ist stark vertreten. Jeder einzelne Protagonist bringt einen individuellen Sound durch die unterschiedlichen Musikgattungen aus Webbers Kompositionen mit auf der Bühne. Ritschel hat auch dieses Mal wieder ein super gutes Gespür für seine Besetzung bewiesen. Es passt einfach.
Webbers „Jesus Christ Superstar“ ist nicht durchweg ein Rockmusical. Auch Soul, Folk und Klassik spielen instrumental eine große Rolle. Damian Omansen schafft es zusammen mit der Magdeburgischen Philharmonie diese anspruchsvolle Melodik so beim Publikum zu übertragen, dass sie für ein einmaliges und unvergessliches Erlebnis sorgt und nicht wie eine 1:1-Kopie aufgezeichneter Studioalben des Musicals daherkommt. Allein die Ouvertüre mit dem E-Gitarren-Solo zum Einstieg sorgt schon für einen einschlagenden Gänsehaut-Moment. Auch der Blick gen Dom erzielt dabei auch noch eine weitere eindrucksvolle Wirkung.

Sebastian Ritschel hat es geschafft, den vorhandenen Stoff so zu verarbeiten, dass seine Inszensierung von „Jesus Christ Superstar“ vor dem Magdeburger Dom noch viele Jahre in aller Munde sein wird. Neben den grandiosen Starbesetzungen der derzeitigen Musical-Branche verwandelt er die düstere Kulisse in Kombination mit den anderen Solisten, dem Opernchor und den Tänzern zu einer wahnsinnigen, zeitlosen Show, die Spaß macht und zum Mitrocken und -klatschen anregt. Die Harmonie des gesamten Ensembles überträgt sich komplett auf das Publikum. Seit dem 15. Juni können alle Beteiligten, egal ob auf oder hinter der Bühne zeigen, dass sie alle wie Jesus auch Superstars sind. Bei der Premiere gab es minutenlangen Applaus und Standing Ovations. Das spricht für sich. Bis zum 08. Juli ist das Erfolgsmusical noch zu erleben. Karten für die weiteren Vorstellungen sind an der Theaterkasse oder unter http://www.theater-magdeburg.de zu erwerben.