Es geht wieder los. Die lange Sommerpause fand am vergangenen Samstag ein Ende. Zumindest am Theater Magdeburg. Mit Richard Wagners Erfolgsoper „Die Walküre“ in der Inszenierung von Jakob Peters-Messer wurde die Spielzeit 2018/2019 eröffnet. Für den Start ist es ein Stück, wo den Besuchern viel Konzentration und Sitzfleisch abverlangt wird. Denn der Opernabend begann nicht wie sonst um 19.30 Uhr, sondern schon um 16.00 Uhr. Das liegt an der Spieldauer von ca. viereinhalb Stunden. Hat das Theater sich für den Anfang nicht etwas zu viel zugemutet?
Der Komponist Richard Wagner interessierte sich sehr für den Nibelungenstoff. Doch diesen konnte er nicht in einer einzigen Oper verarbeiten. Er befasste sich vor allem auch mit der Vorgeschichte von Siegfried, dem Drachentöter. Das Projekt weitete sich zur Tetralogie aus. In der „Walküre“, welcher der zweite Teil ist, geht es um Siegfrieds Eltern, den Zwillingen Siegmund (Richard Furman) und Sieglinde (Noa Danon). Deren Liebesgeschichte stellt sich als Teil eines Plans des Göttervaters Wotan (Lucia Lucas) heraus, der mit seinem selbstverursachten Machtverlust zu kämpfen hat. Doch ihm sind durch seine eigenen Gesetzte die Hände gebunden. Brünnhilde (Julia Borchert), seine Lieblingstochter und titelgebende Walküre, soll Siegmund im Kampf gegen Sieglindes Ehemann Hunding (Johannes Stermann) zum Sieg verhelfen. Doch damit geht Wotan einen Schritt zu weit. Siegmund stirbt und Brünnhilde wird vom eigenen Vater auf einen Felsen verbannt. Sieglinde, die ein Kind ihres ermordeten Bruders und Geliebten Siegmund im Leibe trägt, kann entfliehen.

Der erste Akt wird mit einer Videoprojektion eröffnet, die man regelmäßig so in den Nachrichten zu sehen bekommt. Straßenschlachten finden statt. Vermummte Menschen gehen auf die Straße, demonstrieren und kämpfen gegeneinander. Es artet aus. Sie stecken Häuser in Brand und die Polizei rückt mit Wasserwerfern an, um die Flammen zu löschen. Siegmund findet bei Sieglinde einen Unterschlupf. Beide sind zeitgenössisch und alltagstauglich gekleidet. Es wird schnell klar, dass Regisseur Jakob Peters-Messer einen Bezug zu aktuellen Geschehnissen mit dieser Inszenierung herstellt. Das wird auch vor allem im zweiten Akt deutlich, in dem die Götter wie Geschäftsmänner, gar wie Politiker mit Anzug und Krawatte von Sven Bindsell ausgestattet wurden. Sie haben Machtpositionen und geben anderen Anweisungen und Regeln, die zu befolgen sind und nach denen man leben sollte. Lässt man sich auf das Gedankenexperiment ein, so merkt man, dass dieser Stoff gar nicht allzu weit von der Realität entfernt ist. Der Unterschied besteht nur darin, dass Politiker auch nur normale Menschen und keine Gottheiten sind. Die Parallelen zur jetzigen Zeit, die Peters-Messer in dem Sagenstoff sieht und die Teil von Wagners Opernkomposition in der „Walküre“ sind, setzt er kinderleicht und verständlich für jedermann um. Er unterstreicht das u.a. mit den drei Bühnenbildern, die von Guido Petzold erschaffen wurden. Im ersten Akt findet die Handlung in einer noch nicht fertig eingerichteten Wohnung statt, die mit einem übergroßen Esstisch ausgestattet ist, wenn man bedenkt, dass in dem Haushalt nur zwei Personen zu finden sind. In einer der Wände steckt ein Schwert, welches ein Fremder nach Sieglindes erzwungenen Heirat mit Hunding zu ihrem Schutze dort hinterließ. Im zweiten Akt öffnet sich eine Zwischenwelt, da dort erstmals Menschen und Götter miteinander interagieren. Die Welt der Götter wird innerhalb von wenigen Sekunden durch eine erneute Videoprojektion zu einem Gebirge. Der berüchtigte Walkürenfelsen im dritten Akt gleicht eher einem Gebäude, in dem eine Bombe detoniert sein könnte. Dem Rezipienten wird damit die Möglichkeit geboten, seine eigenen Assoziationen hervorzurufen. Und das Theater beweist damit erneut, dass es ein Händchen für Stoffe aus vergangenen Jahrhunderten besitzt, die ohne Überheblichkeit aktualisiert und nicht zwingend klassisch inszeniert werden können.

Es ist nicht verwunderlich, wenn jemand erstmal von der Dauer des Werkes abgeschreckt ist. Der Zuschauer bekommt viel Input und wird auch bereits mit Nebensträngen vertraut gemacht, die in einem anderen Teil in „Der Ring des Nibelungen“ eine größere Rolle spielen. Dennoch ist dieses Stück mit zwei längeren Pausen verbunden, die einem dabei helfen können, dass bisher Gesehene zu verarbeiten. Wenn man sich aber für den Besuch der „Walküre“ im Theater Magdeburg entscheidet und auch anfänglich seine Zweifel aufgrund der Aufführungsdauer mitbringt, der könnte am Ende das Gefühl haben, dass die Zeit doch viel zu zügig verflogen ist. Denn Peters-Messer hat eine großartige Besetzung geschaffen, die man nicht mehr so schnell vergisst. Die Solisten treten nicht nur mit ihren eindringlichen Stimmen, sondern auch mit ihrem schauspielerischen Können in die Herzen der Zuschauer ein. Dass fast alle ein Wagner-Debüt hinlegten, merkt man nicht. Richard Furman begeistert als Siegmund das Magdeburger Publikum. Seine Rolle ist geprägt von verschiedenen Emotionen wie Zweifel, Liebe und Entschlossenheit. Diese Vielfalt an Emotionen bringt der US-amerikanische Tenor nicht nur schauspielerisch, sondern vor allem gesanglich auf den Punkt. An seiner Seite steht Publikumsliebling Noa Danon als Sieglinde. Obwohl man im ersten Augenblick nicht glauben mag, dass beide Geschwister und Liebende zugleich sein können, spürt man schnell die Chemie, die beide Akteure umgibt. Sie sorgen nicht nur füreinander, sondern es sprühen auch ordentlich die Funken und Amors Liebespfeile. Ebenfalls eindringlich, wenn auch nur recht kurz: Johannes Stermann als Hunding. Nicht nur sein Bass verleiht seiner Figur pure Männlichkeit, sondern auch sein gesamtes Auftreten. Sobald er auf Siegmund trifft, merkt man als Außenstehender, dass seine Blicke wie scharfe Messer auf ihn abzielen. Allein dadurch hätte er seinen Rivalen zur Strecke bringen können.
„Hojotoho!“ Mit diesem Ausruf stellt sich die Sopranistin Julia Borchert als Brünnhilde und „DIE Walküre“ vor. Sie ist ein absolutes Papa-Kind und versucht alles, um ihn stolz zu machen. Doch als sie auf Siegmund und Sieglinde trifft, werden in ihr Gefühle ausgelöst, die sie so noch nie empfunden hat: Empathie und Liebe. Sie stellt sich gegen des Vaters Wort und nimmt damit schwerwiegende Folgen in Kauf. Dennoch zeichnet sie aus, dass sie eine Kämpferin ist. Das zeigt sie durch ihr Selbstbewusstsein – schauspielerisch so wie stimmlich. Auch sie erlebt eine Berg- und Talfahrt. Ihr gesangliches Repertoire reicht von entschlossen und kräftig bis hin zu einfühlsam und verletzt. Der berühmte Walkürenritt aller acht Walküren wird ebenfalls zu einem Auftritt, den das Publikum nicht so schnell vergessen wird. DAS Highlight der „Walküre“ ist allerdings Lucia Lucas in der Rolle des Wotan. Sie ist Deutschlands einzige Bariton-Sängerin und damit nicht nur ein Gewinn für Peters-Messer als Opern-Regisseur, sondern auch für das gesamte Theater Magdeburg. Lucas zieht alle Blicke auf sich und sorgt für einen Gänsehautmoment nach dem anderen. Sie lebt diese Rolle wahrhaftig. Es ist ein purer Genuss für Augen und Ohren. Obwohl ihre Rolle nicht unbedingt zu den Sympathieträgern des Werkes gehört, hinterlässt sie einen bleibenden Eindruck bei allen Anwesenden. Man spürt, dass sie selbst ihre Mitspieler auf der Bühne in einen regelrechten Bann zieht. Und genau solche Künstler schaffen es, dass viereinhalb Stunden einem nicht so lange vorkommen, wie man es sich vorstellt.
Auch für die Magdeburgische Philharmonie hätte es keinen besseren Auftakt für die neue Spielzeit geben können. GMD Kimbo Ishii, der die Musikalische Leitung übernimmt, läutet mit dieser Oper seine letzte Spielzeit am Theater Magdeburg ein. Zusammen sorgen sie bei einigen Zuschauern nicht nur für DEN Aha-Effekt schlechthin (Melodie des Walkürenritts), sondern ebenfalls für sanfte bis tosende Klänge. Das gesamte Orchester blüht regelrecht auf. Wiedererkennungsmerkmale gibt es bei den verschiedenen Motiven, die den einzelnen Protagonisten zugeteilt wurden. Wer vorher nicht mit den Kompositionen Wagners vertraut war, wird nach dem Stück womöglich nach weiteren Werken suchen. Magdeburgische Philharmonie sei Dank!

„Die Walküre“ legt einen fulminanten Startschuss für die Spielzeit 2018/2019 hin. Der Spagat zwischen Mittelalterstoff und Neuzeit ist mehr als geglückt. Vielleicht lief es für den Anfang auch etwas ZU gut. Weitere Produktionen im Musiktheater, insbesondere die der Oper, müssen versuchen, dass sie mindestens auf dem gleichen Level wie das der „Walküre“ spielen. Dies lässt sich auf die Premiere vom 08. September zurückführen. Es war eine Premiere, bei der der Applaus nicht verstummen wollte. Standing Ovations inklusive. Nicht nur das Publikum war sichtlich begeistert und gerührt von der Aufführung. Auch Lucia Luca war sichtlich bewegt von der Begeisterung der Magdeburger Zuschauer und rührte damit einige Anwesende zu Tränen. Dankbarer hätte ein Premierenabend (bzw. -nachmittag) nicht verlaufen können. Und während normalerweise die meisten Rezipienten im Opernhaus den Saal ruhig verlassen und sich kurz leise untereinander über das zuvor Gesehene ausgetauscht wird, konnten viele dieses Mal sicht- und hörbar ihre Euphorie nicht im Zaum halten. Ein gutes Zeichen.
Tickets für weitere Vorstellungen gibt es an der Theaterkasse oder unter www-theater-magdeburg.de.